Einfach Mensch sein

Nach den monatelangen Kontakteinschränkungen fühle ich mich wie ein aus dem Winterschlaf erwachter Bär buchstäblich ausgehungert. Wörtlich genommen habe ich fast verlernt zu kommunizieren, obwohl sich die Welt um ein Vielfaches intensiver mit Tasten und Klingeltönen beschäftigt hat. Digitalisierung – eine zweifellos gute Sache, aber das Königreich der Webinare und online-Meetings hat mich nicht wirklich verzaubern können. 

Ich will mich mit den Menschen am anderen Ende des Glasfaserkabels wieder treffen dürfen. Ich will sie lächeln sehen und mich gemeinsam mit ihnen über das Leben freuen. Ich will endlich kein Knistern in der Leitung und auch keine Fehlermeldungen mehr in meinem Postfach. Ich will aufwachen, mich in den Zug oder Flieger setzen und irgendwo ankommen, wo sich Menschen ohne Angst begegnen und wieder dieselben sind wie früher. 

Apropos Menschen … Hat das Virus uns alle wirklich so verändert? Grüßt dich dein Nachbar immer noch, wenn du ihm im Treppenhaus oder auf der Straße zufällig begegnest, oder hat er inzwischen vergessen, wie du aussiehst? Man hofft, dass dem nicht so ist. Aber wenn doch, was tun? Noch gestern gehörte dein Nachbar zu deinem Alltag. Er lief an deinem Zaun entlang zum Bus, um pünktlich zur Arbeit zu kommen. Jetzt ist er verschwunden. Wahrscheinlich homeoffice, was sonst? Aber hast du dich in den letzten Monaten gefragt, ob es deinem Nachbar gut geht? Ob er noch seine Arbeit ausüben darf oder diese durch die Pandemie verloren hat?

Wer stellt sich schon solche Fragen? Das ist doch einer von vielen, die jetzt zu Hause arbeiten. Was wird da schon sein? Ja und nein. Nur merkst du aber gleichzeitig, dass sich auch bei dir kaum noch jemand meldet. Gleichgültigkeit? Pein, in unpassendem Moment nach dir zu sehen? Oder brauchen wir Menschen unbedingt passende Umstände, um miteinander zu kommunizieren?

Nichts geht einfacher als das. Tür auf, 50 Meter nach rechts bis zum skandinavischen Holzhaus, ein kurzes Klingeln und das unverblümte «Hallo Mensch, ist bei dir alles in Ordnung? Ich habe dich Ewigkeiten nicht gesehen.» Was glaubt ihr, was für Emotionen da ausgelöst werden! Gestern nur ein Nachbar, heute schon fast ein guter Freund. Kaum zu Hause angekommen steht eine Stunde später ein Eimer voller Äpfel vor dem Zaun sowie ein Zettel, der verrät, wo das Obst herkommt. «Liebe Grüße! Man sieht sich …»

Jetzt weiß ich, auch wenn das Virus im Moment seine Auferstehung feiert, dass wir zumindest in unserer Nachbarschaft zusammenhalten. Ich wünsche euch viel Mut zur Kommunikation. Die Welt ist immer noch die alte und daran glaube ich ganz fest. 

Bleibt gesund und bis zum nächsten Mal!

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